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Reisen als Flucht oder als Rückkehr zu sich selbst

Aktualisiert zuletzt am 14. Februar 2022

Butter bei die Fische: Ist das Reisen eine Flucht oder eher eine Besinnung zurück zu sich selbst? Weshalb tut es uns so gut, mit dem Reisen für eine Weile dem Alltag zu entfliehen und von dem Ballast zu Hause Abstand zu gewinnen? Kann das Reisen uns wirklich helfen, zu uns selbst zurückzufinden?

 

1) Kann Dich das Reisen retten?

 

„Ich muss hier raus!“

Denken manche, kramen den alten Rucksack aus dem Keller, kündigen von heute auf morgen ihren Job und buchen den nächsten Flug. Wohin ist eigentlich egal, Hauptsache so weit weg von zu Hause wie möglich. Dadurch soll sich einfach alles ändern.

Noch gestern habe ich mich mit einer Freundin darüber unterhalten, ob und wie sehr das Reisen uns retten kann.

Ich glaube, dass man sich beim Reisen selbst finden kann, ist eine Illusion”, sagte sie.

Meine Freundin reist gerne, geht viel wandern und stößt dabei an körperliche Grenzen. Sie war für mehrere Monate in Kanada unterwegs.

Bei mir hat es jedenfalls nicht funktioniert”, fügt sie noch hinzu.

Seitdem denke ich über dieses Thema nach.

Kann das Reisen uns retten? Können wir uns beim Reisen selbst finden oder können wir es nicht? Wie viel Flucht steckt in vielen Reisen?

 


 

2) Was das Reisen in jedem Fall für Dich tun kann

 

Ich glaube sehr wohl, dass das Reisen einen zu sich selbst zurückführen kann”, antwortete ich meiner Freundin.

Was ich damit meinte, war jedoch viel komplexer.

Ich glaube, dass bei einer Reise Konventionen aufgebrochen werden. Dass das Reisen den Blick und das Herz öffnen kann. Dass man Inspirationen und neue Ideen sammelt. Neuer Input führt zu neuen Lösungsansätzen und persönliche Grenzen verschieben sich. Man wird beim Reisen mit eigenen Ängsten konfrontiert, mit den eigenen Schwächen und den eigenen Stärken. Vieles wird einem beim Reisen klarer. Man entdeckt Seiten an sich, die einem vorher völlig fremd waren.

Zu sehen, wie andere Menschen leben und andere Kulturen funktionieren, macht einem außerdem das Leben in der Heimat bewusster. Was fehlt uns zu Hause und was sollten wir viel mehr schätzen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Reisen Dich auf vielen Ebenen erweitern kann. Du wirst davon profitieren und daran wachsen. Vielleicht passiert das nicht in Riesenschritten, sondern leise und vorsichtig. Aber ich vertraue darauf, dass sich für Dich Dinge durch das Reisen ändern können und werden.

 


 

3) Reisen ist etwas Persönliches

 

Geschichten von anderen Leuten über die großartigen Reisen ihres Lebens können motivierend wirken und anstecken. Schnell kommt der Wunsch auf, das Gleiche zu erleben. So ging es mir mit dem Film „Eat, Pray, Love“.

Aus irgendeinem Grund packte mich der Film. Das wollte ich auch! Ich wollte meditieren, ich wollte meine Sinne schulen, wollte mich frei fühlen und mich treiben lassen. Ich wollte mir selbst endlich wieder nahe kommen, oder eigentlich: Mir endlich zum ersten Mal wirklich nah sein! Auf meinem bisherigen Lebensweg war ich ständig von Unzufriedenheit und Zweifeln begleitet gewesen. Etwas fehlte. Und ich wusste noch nicht, wer ich selbst war und sein wollte.

Also trat ich meine viermonatige Solo-Reise an. Ich erlebte kein „Eat, Pray, Love“. Ich erlebte stattdessen meine ganz eigene Geschichte.

Reisen ist etwas Persönliches. Was jeden Backpacker verbindet, ist das Vertrauen, dass wir Menschen unterm Strich sehr ähnlich sind und trotzdem jeder seinen eigenen Weg geht. Deine Reise wird etwas ganz Besonderes sein, allein deshalb, weil es Deine Reise ist.

Du wirst nicht meine, sondern Deine eigenen Erfahrungen machen. Dein Leben macht im Flieger keinen Cut und sagt sich:

Aha, das Flugzeug-Signal. Jetzt kommt also das Programm 180°-Wendung. Was sagt das Handbuch?”

Dein Leben geht stattdessen weiter, ob Du zu Hause bleibst oder vereist. Es wird lediglich neue Wege einschlagen. Deine Wege.

 


 

4) Die Grenzen des Reisens und wieso das Reisen Dich eben nicht retten kann

 

Hier stoßen wir dann auch an die Grenzen des Reisens: Du hast Dich selbst immer mit an Bord.

Du kannst dem Alltag zu Hause entfliehen, dem Druck, einer ungesunden Beziehung oder Teufelskreisen, für die Du keinen Ausweg siehst. Das Reisen kann Dir in vielerlei Hinsicht helfen.

Es kann jedoch nicht Dein bisheriges Leben übermalen. Die zerstörerische Beziehung ist ein Teil von Dir geworden, schon bevor Du beschlossen hast, von ihr durch das Reisen Abstand zu nehmen. Die Wunden, die Du bisher im Leben erfahren hast, bleiben. Sie können beim Reisen mitunter heilen, indem Du ihnen endlich einmal Aufmerksamkeit schenkst. Oder sie werden immer unauffälliger, weil Du so viele glückliche Momente aka Pflaster sammelst, dass Du die Wunden überkleben kannst.

Trotzdem vergisst Dein Inneres sie nicht.

Insofern: Das Reisen kann Dich nicht vor dem retten, wovor Du davon läufst. Es kann den alten Kummer nicht auslöschen und Dinge ungeschehen machen. Diese Punkte musst du letztlich aktiv berarbeiten, eventuell sogar mit Unterstützung von außen.

 


 

5) Das Reisen als Flucht oder als Rückweg zu Dir selbst

 

Wenn Du also vorhast, Deinen Rucksack zu schultern um von zu Hause wegzukommen oder zu Dir selbst zurückzufinden, zögere nicht.

Tu es.

Greife nach den Sternen, entfliehe dem Druck zu Hause, löse Dich von ungeschriebenen Regeln und tauche in die große Welt ein. Nimm all die Schönheit mit, die sie Dir zu bieten hat und lass Dich von ihr berauschen.

Tanke Kraft.

Suche beim Reisen jedoch nicht die Erlösung, sondern den Fortschritt. Genieße das Wachstum. Ohne zu glauben, dass Du Deine Wurzeln dafür nicht brauchst oder diese gar kappen kannst.

Ein Baum kann langfristig nicht seine Arme ausbreiten und den Himmel erreichen, wenn er nicht auf gesundem Boden steht.

 


 

Abschließende Worte

 

Vermutlich beinhaltet Reisen meist ein Stück von beidem: Einer Flucht, weg von Gewohntem, und einer Rückkehr zu Dir selbst und Deinem Inneren. Das Reisen ist immer etwas Persönliches und deshalb für jeden anders, auch, wenn es Gemeinsamkeiten gibt. Ich wünsche Dir, dass Deine Reisen Dich auf neue Wege führen. Und dass sie Dich, statt Dich so weit wie möglich davon zu tragen, letzten Endes erden können.

 

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6 Gedanken zu „Reisen als Flucht oder als Rückweg zu Dir selbst?“

  1. Hallo Marie,

    Ich habe deinen Blog neu entdeckt und wollte mich an dieser Stelle dafür Bedanken das du deine Erfahrungen und Gedanken mit anderen teilst.

    Reisen ist für mich eine Auszeit vom doch nicht immer leichten Alltag. Manchmal braucht man diese „Flucht“ um sich wieder zu finden/spüren, Abstand zu gewinnen und dadurch wieder andere Sichtweisen zu bekommen. Der Weg ist das Ziel. Dieser darf auch gern über mehrere Ländern, Kulturen und Begegnungen gehen.

    Ich wünsche dir alles Gute,
    LG Sabine

    1. Hallo Sabine,

      vielen Dank für deinen Kommentar und die lieben Worte!
      Ich bin ganz deiner Meinung, manchmal braucht man diesen Ausbruch aus dem Alltag und dem Vertrauten.

      Liebe Grüße,
      Marie

  2. Reisen ist innere Entwicklung und der Weg zum Glück

    57 Länder haben mich bisher willkommen geheißen. Immer mit Rucksack und selbst organisiert. Mir geht es dabei nicht um das abarbeiten einer Liste, sondern um das selbst spüren und fühlen. In einer Welt von Fake-news ist eine Reise die einzige Möglichkeit zu überprüfen wie es sich tatsächlich anfühlt.
    Mir sind immer die Menschen am wichtigsten.
    Ich suche mir eine Familie bei AirBnB und wohne bei ihnen, sitze mit ihnen am Tisch, sehe ihr Leben und frage sie: Was macht Euch glücklich!!!
    Die Antworten sind dann von sehr verwundert bis extrem beeindruckend, der wichtigste Punkt an dem man etwas fühlt.
    Wenn ich die Antwort habe, frage ich: Warum macht ihr es dann nicht!!! Jetzt wird es extrem spannend…
    Die Sehenswürdigkeiten sind nicht wirklich wichtig. Die sind für die Selfy Gemeinde.
    Nach so einer Gesprächsrunde, verändern sich Gastgeber dramatisch zum positiven. Sie fühlen sich gesehen und wundern sich wie man so was fragen kann. Als erwachter Buddhist ist jede Reise eine Reise nach innen und das ist das spannendste Erlebnis.
    Viele Schöne Reisen liebe Marie,
    Viele Grüße Berni

    1. Hallo Berni,

      vielen Dank für deine spannende Schilderung deiner Erfahrungen beim Reisen!
      Das hört sich wirklich sehr bereichernd an. Auch bei mir sind viele der prägendsten Reiseerlebnisse durch den Kontakt mit Einheimischen und anderen Reisenden entstanden.
      Ich finde die Erkenntnis wunderschön, dass trotz kultureller oder auch religiöser Unterschiede letztlich alle Menschen die gleichen Emotionen, Ängste oder Träume für ihr Leben haben.

      Ich wünsche dir alles Gute,
      liebe Grüße,
      Marie

  3. Es heißt oft Reisen sei nur eine Flucht. Klar, stimmt! Aber was soll das abfällige „nur“? Es gibt schließlich keinen „richtigen Lebensentwurf“. Wenn du das Gefühl hast dein Leben erdrückt dich ist Reisen eine wirklich gute Möglichkeit Abstand zu gewinnen.

    Klar hast du wie du schreibst dich selbst immer an Bord. Aber das (Allein-)Reisen erlaubt dir dich auszuprobieren und wenn du willst täglich neu zu erfinden. Du kannst dich nicht ändern, aber du kannst dich kennenlernen.

    Deine Rückkehr ermöglicht dir festgefahrene gesellschaftliche Erwartungen zumindest vorübergehend zu durchbrechen. Die gesellschaftliche Erwartung nach einer längeren Reise ist ja sogar, daß du verändert zurückkommst. Allein das kann zur self-fullfilling-prophecy werden 😉

    1. Hallo Florian,

      stimmt, das „nur“ wertet das Thema ab.
      Ansonsten bin ich ganz deiner Meinung: Man kann sich beim Reisen besser kennenlernen und sich selbst näher kommen. In so fern lege ich das Reisen sehr gerne ans Herz, wenn das Leben einen gerade zu zerrütten droht.
      Gleichzeitig löst das Reisen bei weitem nicht alle Probleme und funktioniert auch nicht für jeden gleich. Und wenn man dann nach Hause kommt, muss man sich mit den eigenen Problematiken dennoch auseinandersetzen.

      Danke für deine Perspektive :-)!
      Liebe Grüße,
      Marie

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